«Kommunikation ist kein Copy-Paste-Job»
Karin Estermann ist Executive Creative Director und Partnerin bei der Creative Agency Inhalt und Form. Mit langjähriger Erfahrung in führenden Agenturen im In- und Ausland sowie zahlreichen preisgekrönten Arbeiten bringt die MAZ-Dozentin fundiertes Praxiswissen und kreative Exzellenz in ihren Workshop. Ihre Handschrift prägt grosse Kampagnen für nationale und internationale Marken. Die Dynamik neuer Medien, der Einsatz von KI und das Tempo der Branche sind für sie nicht nur Herausforderung, sondern täglicher Antrieb, aussergewöhnliche Ideen zu entwickeln und Wirkung zu erzielen.
Gab es einen roten Faden in deinem Leben, der dich dorthin gebracht hat, wo du heute stehst?
Ja, definitiv: Neugier. Ich wollte schon immer wissen, wie Menschen ticken – was sie bewegt, was sie antreibt und wie man sie berühren kann. Kommunikation war für mich nie einfach ein Werkzeug, sondern immer ein kreatives Spielfeld voller Möglichkeiten. Schon als Kind habe ich immer eine Frage mehr gestellt als die anderen. Mich interessiert nicht nur das Offensichtliche, sondern auch das, was darunterliegt – die Psychologie hinter Entscheidungen, Emotionen und Verhalten.
Denn am Ende sprechen wir mit Menschen. Wir wollen sie erreichen, sie inspirieren und ja, manchmal auch ein bisschen beeinflussen: zum Handeln, zum Kaufen, zum Entscheiden.
War es Neugier, Zufall oder eine bewusste Entscheidung, in der Werbung und Kommunikation Fuss zu fassen?
Es war nicht der eine Moment, sondern eine Mischung aus vielem. Die Neugier hat mich in die Branche gezogen – dieses brennende Interesse daran, wie Menschen denken, fühlen und entscheiden. Der Zufall hat mir Türen geöffnet, Begegnungen haben mich inspiriert. Und irgendwann wurde aus dem Ausprobieren eine bewusste Entscheidung. Ich habe gespürt: Das ist mein Weg. Hier kann ich etwas bewegen. Ich kann Ideen entwickeln, die Menschen berühren, zum Nachdenken bringen – oder zum Handeln. Zudem in viele verschiedene Branchen reinschauen, was meiner Neugier zugutekommt. Kurz: Kreativität, Psychologie, Kommunikation – alles, was mich fasziniert, kommt hier zusammen.
Hat sich dein Berufsalltag in den letzten zehn bis zwanzig Jahren verändert?
Radikal. AI is here! Das Arbeiten mit künstlicher Intelligenz ist unser Alltag. Die Geschwindigkeit, die Kanäle, die Anforderungen: Alles hat sich vervielfacht. Aber das macht es auch spannend. Man muss ständig lernen, sich neu erfinden und Pitches bringen den Speed rein.
Welche Entwicklungen in der Kommunikations- und Werbewelt empfindest du als besonders spannend und welche siehst du eher kritisch?
Was ich spannend finde: dass die Kommunikationsbranche nie stillsteht. Sie ist wie ein Chamäleon auf Koffein – ständig in Bewegung, ständig im Wandel. Neue Plattformen, neue Formate, neue Buzzwords und mittendrin wir Kreativen, die versuchen, aus all dem Lärm etwas Relevantes zu machen.
Mich fasziniert, wie Ideen heute in Sekunden um die Welt gehen können. Wie aus einem guten Gedanken ein Gespräch wird – oder ein Shitstorm. Wie Marken plötzlich Haltung zeigen (müssen) und wie Kommunikation heute mehr denn je Verantwortung trägt. Und ja, manchmal ist es auch einfach schön, wenn ein simpler, kluger Satz mehr bewegt als ein ganzes Budget.
Was ich kritisch sehe: Kommunikation ist heute demokratisiert – jede:r kann senden, posten, streamen, was nicht zu guter Qualität verhilft. Die Lautstärke ersetzt oft die Tiefe. Zwischen Self-Branding und Daueroptimierung bleibt wenig Raum für echte Substanz. Nicht alles, was blinkt, ist Gold und nicht jede Meinung braucht ein Mikrofon.
Themen wie Purpose, Haltung und Nachhaltigkeit sind derzeit omnipräsent.
Was bleibt für dich zentral und was ist eher ein kurzlebiger Trend?
Purpose ist kein Trend, sondern eine Haltung. Wenn er echt ist, wirkt er. Was ich kritisch sehe, ist der «Purpose-Washing»-Effekt – wenn Unternehmen Haltung nur vortäuschen. Nachhaltigkeit und ein Purpose müssen gelebt werden, nach innen und aussen, und nicht nur kommuniziert oder niedergeschrieben werden.
Du bist neu als Dozentin am MAZ tätig. Worauf freust du dich am meisten und wo siehst du die grössten Herausforderungen in der Lehre?
Ich freue mich auf den Austausch mit den Studierenden. Ihre Perspektiven sind frisch, mutig, manchmal unbequem und genau das braucht unsere Branche. Die Herausforderung liegt darin, Theorie und Praxis sinnvoll zu verbinden und Raum für echte Kreativität zu schaffen.
Welchen Kurs wirst du am MAZ unterrichten? Und worauf legst du in deiner Vermittlung besonders Wert?
Ich vermittle Projektmanagement für kreative Projekte – praxisnah und direkt aus dem Agenturalltag. Dieser Kurstag vermittelt die essenziellen Grundlagen des Projektmanagements im Kontext kreativer und visueller Vorhaben. Als Creative Director und Agenturinhaberin bringe ich nicht nur theoretisches Wissen mit, sondern teile konkrete Erfahrungen, Methoden und «Lessons Learned» aus meiner täglichen Praxis. Ziel ist es, den Teilnehmenden Werkzeuge an die Hand zu geben, mit denen sie kreative Projekte effizient und wirkungsvoll steuern können – von der Idee bis zur Umsetzung.
Was möchtest du den Teilnehmerinnen und Teilnehmern deiner Kurse mitgeben?
Mut zur eigenen Stimme. Klarheit im Denken. Gute Planung und die Fähigkeit, auch mal gegen den Strom zu schwimmen. Kommunikation ist kein Copy-Paste-Job – sie lebt von Haltung und Persönlichkeit.
Kommunikation verändert sich stark durch Digitalisierung, KI und Social Media. Was empfiehlst du Unternehmen oder auch jungen Kreativen: Worauf sollten sie heute besonders achten?
Auf Relevanz. Technologie ist ein Werkzeug, kein Selbstzweck. Wer Menschen erreichen will, muss verstehen, was sie wirklich bewegt und nicht nur, was gerade trendet. Authentizität schlägt Algorithmus.
Gibt es eine Inspiration oder Tipp für den Alltag, den du unseren Lesern mitgeben möchtest? Beobachte. Hinterfrage. Bleib neugierig und mach viele Reisen. Gute Kommunikation beginnt im Alltag – beim Zuhören, beim Staunen, beim Denken. Inspiration ist überall, man muss sie nur sehen wollen.